Zum ersten Mal eine Therapie in Angriff zu nehmen oder eine neue Therapeutin bzw. einen neuen Therapeuten aufzusuchen, ist ein mutiger Schritt, der starke Gefühle auslösen kann. Werde ich Fortschritte machen? Passt diese Person überhaupt zu mir? Was ist, wenn ich mich nicht gut dabei fühle? Solche Befürchtungen sind während der Aufnahme einer Therapie ganz normal. Es ist völlig in Ordnung, sich diese Fragen zu stellen – den meisten anderen geht es genauso. Zudem kann eine Therapie starke Emotionen und Gefühle wie beispielsweise Angst, Wut oder Scham an die Oberfläche bringen. Auch diese Empfindungen sind normal, denn du hast deine Therapie unbewusst bereits in dem Moment begonnen, als du dich zu diesem Schritt entschlossen hast. Deine Gefühle warten also sozusagen nur darauf, angesprochen zu werden, und treten daher zutage. Auch das gehört zu dieser Etappe dazu und ist kein Grund zur Beunruhigung.
Hier sind einige Dinge, die du bei der Aufnahme einer Therapie beachten solltest.
Es ist sehr wichtig, dass die Chemie mit deiner Psychologin bzw. deinem Psychologen stimmt
Wie der Psychiater und Psychoanalytiker Dr. Glen Gabbard schrieb, ist die therapeutische Beziehung entscheidend für den Erfolg einer Therapie; der therapeutische Ansatz ist weniger wichtig. Wenn du einen guten Kontakt zu der Person hast, Vertrauen aufbaust und zudem in der Lage bist, auch die kleinen Erfolge zu sehen und zu schätzen, die du im Laufe der Therapie erzielst, dann bist du auf dem richtigen Weg.
Mit zwei Psychologinnen oder Psychologen gleichzeitig zu arbeiten, ist in den meisten Fällen keine gute Idee, da dadurch verschiedene Probleme aufgeworfen werden können – wie Spaltung, widersprüchliche Herangehensweisen oder eine unbewusste Einteilung in gute:r Therapeut:in/schlechte:r Therapeut:in, sodass man den beiden Personen unterschiedliche Dinge erzählt. Eine solche Aufspaltung verhindert, das Gute und das Schlechte als Einheit zu sehen sowie beides zu akzeptieren und damit umzugehen. Daher empfiehlt es sich, eine einzige therapeutische Fachkraft auszuwählen und negative wie positive Dinge zusammen zu besprechen.
Bestimme dein Ziel
Für deine Therapie können unterschiedliche Bedürfnisse eine Rolle spielen. Machst du beispielsweise eine Therapie, um zu lernen, glücklich zu sein – oder befindest du dich in einer akuten Phase der PTBS? Willst du die Beziehungen in deinem Leben verbessern – oder kommst du, um zu trauern? Diese unterschiedlichen Ziele beeinflussen natürlich die Wahl deiner Psychologin bzw. deines Psychologen. Eine Person, die gut akuten Stress behandeln kann, ist nicht unbedingt ebenso gut für eine langfristige, offene Therapie geeignet, die sich zum Beispiel mit einer Depression nach einer Trennung befasst.
Wähle die Methode (und probiere ruhig verschiedene aus)
Du kannst zwar entscheiden, welche therapeutische Methode du bevorzugst – doch kannst du kaum wissen, welche am besten zu dir passt, bis du sie ausprobiert hast. Manche Menschen profitieren von kognitiv-behavioralen Übungen, andere von einer Therapie, bei der die Gefühlswelt im Mittelpunkt steht, wieder andere von einer Körpertherapie oder einem psychoanalytischen Ansatz. Es lohnt sich, verschiedene Methoden auszuprobieren – denn vielleicht sprichst du auf etwas ganz anderes gut an, als du glaubst. Bei der Wahl der therapeutischen Methode ist es also ratsam, offen für verschiedene Möglichkeiten zu sein.
Bereite dich auf ausgedehnte Erkundungen vor
Manche Menschen bleiben länger in Therapie, andere finden eine Kurzzeittherapie ausreichend, um ihre Ziele zu erreichen. Es ist jedoch besser, sich zu Beginn auf eine Langzeittherapie einzustellen, denn das mindert den Erwartungsdruck, in der Anfangsphase „gut abschneiden“ zu müssen. Diese anfängliche Erwartung schneller Ergebnisse in Verbindung mit der Angst, dass die Therapie unwirksam sein könnte, kann die Besorgnis verstärken und deinen Erfolg behindern. Wenn du auf eine längere Therapiearbeit vorbereitet bist, wirst du dich zumeist wohler fühlen. Eine Alternative kann sein, eine bestimmte Anzahl von Sitzungen festzulegen. Auf diese Weise wird die Therapie für dich überschaubarer und du kannst innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens deine Fortschritte einschätzen und je nach Bedarf mit der Therapie fortfahren. Ich arbeite zum Beispiel so, dass ich für eine Klientin bzw. einen Klienten jeweils eine unbegrenzte Anzahl von Sitzungen offen halte und der Person die Möglichkeit gebe, selbst zu entscheiden, wann die Therapie beendet werden soll; gleichzeitig nutze ich etwa die fünfte Sitzung dazu, über unsere gemeinsame Arbeit und die erreichten Fortschritte zu sprechen.
Messe deinen Fortschritt
Wenn du keine Fortschritte spürst, solltest du mit deiner Therapeutin oder deinem Therapeuten darüber sprechen. Es könnte beispielsweise sein, dass du wichtige Fortschritte machst, ohne dir darüber bewusst zu sein, oder dich auf ganz andere Fortschritte konzentrierst, die dir wichtiger erscheinen – deren Zeit aber einfach noch nicht gekommen ist. Es gibt einige verbreitete Missverständnisse über Therapien – und Therapeuten – die auf deinem therapeutischen Weg auftauchen können.
Es gibt einige verbreitete Missverständnisse über Therapie – und Therapeuten – die auf Ihrem therapeutischen Weg auftauchen können.
Negative Emotionen
Es kann vorkommen, dass du schon früh starke negative Gefühle gegenüber deiner Therapeutin oder deinem Therapeuten entwickelst – doch bedeutet das, dass die Person nicht fachgerecht arbeitet? Nicht unbedingt. Freud beschrieb den Prozess der „Übertragung“, die in der Therapie häufig auftritt. Dabei überträgt die Klientin oder der Klient verdrängte Inhalte auf die Therapeutin oder den Therapeuten. Tatsächlich richtet sich die empfundene starke Wut oder Abneigung aber gar nicht gegen die therapierende Person, sondern gegen einen anderen wichtigen Menschen in deinem Leben – kommt jedoch in der Therapiesituation zum Vorschein. Die Übertragung von starken Gefühlen auf die therapierende Person ist also eigentlich ein positives Zeichen, das darauf hindeutet, dass die Klientin bzw. der Klient sich selbstbewusst und sicher genug fühlt, um diese Gefühle in der therapeutischen Umgebung auszudrücken. Auch wenn es schwierig sein kann, über solche Empfindungen zu sprechen, kann das Gespräch darüber tiefe Einblicke in deinen Zustand geben.
Therapie ist keine Zauberpille (und soll es gar nicht sein)
Vielleicht weißt du gar nicht so genau, was eine Therapie eigentlich ist und welche Aufgabe dein:e Therapeut:in hat. Nach meiner Ansicht ist eine Therapie in erster Linie ein gemeinsames Unterfangen und sollte von beiden Seiten als solches betrachtet werden. Zu den Aufgaben von Therapeutinnen und Therapeuten gehört es, die entsprechenden Theorien und Techniken zu kennen, einen sicheren therapeutischen Raum zu schaffen, für dich da zu sein und dir zu helfen, konstruktiv mit dem umzugehen, was dich beschäftigt. Die therapierende Person kann jedoch keine Zauberpille anbieten, die deine Probleme sofort und mühelos löst. Grundlage jeder Therapie ist die Erkundung – deiner selbst, deines Zustands, deines Hier und Jetzt, deiner Gefühle und der Ereignisse in deiner Vergangenheit. Die Therapeutin bzw. der Therapeut kann dich zwar unterstützen und anleiten, diese Arbeit aber nicht für dich erledigen. Deshalb ist es wichtig zu verstehen, dass die Therapie deine aktive Teilnahme und dein Bemühen erfordert. Nur ein solcher gemeinschaftlicher Prozess führt zu wahrer Heilung und Wachstum.
Die Balance zwischen Herausforderung und Harmonie
Wenn du dich in deiner Therapie nicht ein kleines bisschen unwohl fühlst, dann könnte es sein, dass etwas nicht in Ordnung ist. In der Therapie geht es nicht nur ums Zuhören, sondern auch darum, etwas zu verändern und sich Herausforderungen zu stellen. Manchmal wird unbewusst eine Art Pakt geschlossen – die Therapeutin oder der Therapeut vermeidet herausfordernde Themen oder Bereiche, in denen sich das Gegenüber unwohl fühlt, und die Klientin oder der Klient erfüllt lediglich den „geforderten“ Teil: anwesend sein, bezahlen und reden. In solchen Fällen mag es oberflächlich so wirken, als ob die Therapie Fortschritte macht – doch eine tiefere Arbeit wird von beiden Parteien verhindert. Ebenso gilt, dass wahrscheinlich etwas nicht stimmt, wenn es in der Therapie keinerlei Momente des Glücks oder der Zufriedenheit gibt. Für Klientinnen und Klienten ist es wichtig, Zufriedenheit in sich selbst zu finden und Quellen der Freude zu entdecken – aber auch die Notwendigkeit anzuerkennen, die Schwierigkeiten anzugehen, die sie überhaupt erst zur Therapie geführt haben.
Was Therapeutinnen und Therapeuten motiviert
Manche Menschen glauben, dass es Therapeut:innen nur ums Geld geht. Zwar gibt es in jedem Beruf skrupellose und geldgierige Personen, doch im Bereich der Therapie sind in der Regel Menschen tätig, denen das Wohl anderer wirklich am Herzen liegt. Andernfalls wären sie nicht in der Lage, mit all dem Leid umzugehen, das ihre Klientinnen und Klienten zu ihnen bringen. Stelle dir einmal vor, du würdest 15–30 Personen mit den unterschiedlichsten Problemen beraten, die von emotionaler Unterdrückung über Traumata und Sucht bis hin zu Selbstmordgedanken reichen. Es bedarf einer starken inneren Motivation, um sich konsequent mit solchen Herausforderungen zu befassen – und finanzieller Gewinn allein reicht nicht aus, um dieses Engagement aufrechtzuerhalten.
Kann mir eine Therapie überhaupt helfen?
Klientinnen und Klienten machen sich oft Sorgen, dass eine Therapie ihnen nicht helfen kann – dass niemand das kann. Natürlich sind auch Therapeuten nur Menschen, die ihre eigenen persönlichen und beruflichen Grenzen haben. Manchmal ist ein:e Therapeut:in wirklich nicht in der Lage zu helfen. Das kann sich für neue Klienten wie eine Zurückweisung anfühlen und sie dazu bringen, die Suche nach anderen Angeboten aufzugeben. Der Schmerz der Ablehnung kann besonders groß sein, wenn jemand aufgrund eines Traumas der Ablehnung zur Therapie kommt. Doch ich möchte dich ermutigen, nicht aufzugeben. Wenn dein:e derzeitige:r Therapeut:in nicht die richtige Person ist, kann sie oder er dir trotzdem jemanden empfehlen und sich hierfür gegebenenfalls auch an ihre:n/seine:n Supervisor:in wenden. Wenn du eine großartige therapeutische Fachkraft findest, die oder der aber leider keine neuen Klienten mehr annimmt, kannst du die Person nichtsdestotrotz um eine Empfehlung bitten.
Ich möchte dich ermutigen, bei der Suche nach einer Therapeutin oder einem Therapeuten sorgfältig vorzugehen und ruhig auch Fragen zu stellen – denn dabei ist es genau wie bei der Suche nach vertrauenswürdigen Zahnärztinnen, Versicherungsvertretern, Mechanikern oder Buchhalterinnen: Wahrscheinlich wird die Person über Jahre hinweg ein wichtiger Teil deines Lebens sein.
Ich hoffe, dass dies hilfreich für dich war und ich deine Ängste bei der Suche nach einer therapeutischen Fachkraft ausräumen konnte. Du befindest dich am Anfang einer sehr aufregenden Reise, auf der du dein Leben zum Besseren verändern und lernen kannst, die Dinge anders zu machen und dein neues Ich zu entdecken, von dem du schon immer wusstest, dass es irgendwo im Verborgenen schlummert.
Bibliographie:
Yalom, I. (2017). The Gift of Therapy: An Open Letter to a New Generation of Therapists and Their Patients (Paperback).
Gabbard, G. O. (2017). Long-term psychodynamic psychotherapy: A basic text (3rd rev. ed.). American Psychiatric Publishing.
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