Siri Sundin (she/her) is an experienced systemic and analytic coach, a trained psychosexual therapist (CICS, UK) who provides a safe and trauma-informed space through studies in Somatic Experiencing.
Last Updated on März 3, 2025 by It’s Complicated
Kürzlich wurde mir eine der häufigsten Fragen in der Sexual- und Paartherapie gestellt: „Nach x Jahren Beziehung stelle ich fest, dass ich mehr (oder anderen) Sex will als mein*e Partner*in. Ich liebe sie/ihn immer noch. Aber ich treffe mich mit jemand anderem, um meine Bedürfnisse zu befriedigen. Muss ich mich von meinem Partner / meiner Partnerin trennen?“
In diesem Artikel schaue ich auf Ideen, Überzeugungen und Vorurteile, die wir in Bezug auf monogame Beziehungen haben und darauf, wie wir Sex haben und definieren. Ich stelle die Frage, ob die Regeln, nach denen wir leben, für uns hilfreich sind. Dürfen wir sie anpassen, um das Leben zu leben, das wir leben wollen?
Disclaimer: Was ich hier schreibe, ist meine Meinung (weiße cis-Frau, Westeuropa 2025), die ich aus Lektüre, eigenen Erfahrungen und Geschichten anderer, denen ich beruflich und privat zugehört habe, gewonnen habe. Wenn Du möchtest, kannst Du die Aspekte, die Du für Deine Situation hilfreich findest, in Deine Lösung einbeziehen.
Unterschiedliche sexuelle Wünsche und Bedürfnisse in einer Beziehung und der Umgang damit ist ein Thema, was mehr als nur ein Tabu birgt. Wir sprechen hier über kulturelle und auch persönliche Werte. Dürfen wir eigene sexuelle Wünsche und Bedürfnisse haben, die sich von den Wünschen und Bedürfnissen unserer Partner*innen unterscheiden? Und wenn ja, führt diese Unterschiedlichkeit zwangsläufig zu einer Trennung? Oder ist es erlaubt, mehr als einen Sexualpartner zu haben? Oder sollte die eine einfach „nachgeben“ oder der andere „aussetzen“? Sind wir unmoralisch, wenn wir wollen, was wir wollen, und danach handeln? Ist mein Partner dafür verantwortlich, meine Bedürfnisse zu erfüllen? Bin ich ein schlechter Mensch, wenn ich eifersüchtig bin? Was, wenn ich nicht eifersüchtig bin? Und wer macht eigentlich all diese Regeln?
Monogamie. Nur eine Möglichkeit
Paul Watzlawick stellt in seinem Buch über den radikalen Konstruktivismus „Wenn du mich wirklich lieben würdest, würdest du auch Knoblauch mögen!“ die Idee vor, dass wir unsere Realität konstruieren. Wenn wir uns dieses Konzept bewusst machen, wird es möglich, die Normen und „vorgegebenen Wahrheiten“ nach denen wir leben zu hinterfragen.
In unserer Gesellschaft (Westeuropa) ist Monogamie immer noch die Grundlage für die meisten Beziehungen. Ich definiere Monogamie hier als die einvernehmliche Entscheidung zweier Menschen, für die Zeit ihrer Beziehung nur sexuelle Begegnungen miteinander zu haben. Meistens ist das eher ein traditioneller Wert, der nicht bewusst hinterfragt wird, als eine bewusste und informierte Entscheidung.
In diesen Beziehungen messen wir Sex und der „richtigen Anzahl“ von sexuellen Begegnungen einen sehr hohen Stellenwert bei. Vielleicht haben wir sogar das Gefühl, dass wir nur dann richtige Frauen und Männer sind, wenn wir eine bestimmte Häufigkeit (oder Qualität) von Sex haben. Dieser Druck kann unsere Entscheidungsfindung beeinflussen, ob wir sexuelle Begegnungen außerhalb einer Beziehung haben.
Wenn wir unseren Wunsch nach Sex außerhalb unserer Beziehung entdecken oder wenn unser Partner diesen Wunsch hat, führt das oft zur Beendigung der Beziehung – auch wenn wir die Beziehung eigentlich nicht verlassen wollen.
Neben der Belastung, die Menschen in einer Beziehung mit unterschiedlichen sexuellen Wünschen und Bedürfnissen haben, gibt es viel Druck von außen. Vielleicht mit der Idee, dass diese Unterschiedlichkeit nicht existieren sollte oder zumindest nicht normal ist. Vielleicht glauben wir auch, dass wir nicht gut genug sind, wenn wir nicht so oft Sex haben, wie es Magazine, medizinisches Personal oder sogar Sexologen als „normal“ deklarieren oder was in Freundeskreisen so gemunkelt wird.
Vielleicht definieren wir uns sehr über unsere Sexualität und wissen nicht, wer wir ohne Sex sind. Und wenn wir keinen Sex haben oder keinen wollen, stimmt vielleicht auch mit uns etwas nicht. Oder mit unserer Partner*in. Irgendetwas muss auf jeden Fall anders werden, so scheint es. Oder korrigiert werden. Also, was ist es denn nun?
Fragen wir doch mal bei uns selbst nach:
- Was ist eigentlich Sex? (Für Dich ganz persönlich? Die Antworten können von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein)
- Müssen Partner*innen die gleichen Bedürfnisse und Wünsche rund um Sexualität haben und wenn nicht, dürfen sie diese dann nicht ausleben?
- Ist Monogamie die einzige Möglichkeit, eine Beziehung zu leben? (Und was immer Du für Dich selbst entscheidest, ist richtig.)
Sex. Definiere Deinen Spielraum
Was meinen wir eigentlich, wenn wir von Sex sprechen? Ist es nur der sogenannte Geschlechtsverkehr, bei dem sich die Geschlechtsorgane treffen? Oder ist es möglich, Sex zu haben, ohne sich zu berühren oder sogar ohne eine andere Person?Und wenn ich masturbiere, ist das Sex? Oder nicht?
Als Frau mit anderen Frauen „rumzumachen“ kann sicherlich nicht als „fremdgehen“ bezeichnet werden. Es ist ja kein Penis im Spiel. Und den braucht man doch für Sex, oder?
Ich erinnere mich daran, dass ich bei einem Tantra-Festival mit jemandem „sexuelle Energien ausgetauscht“ habe (ja, so kann man das auch nennen), während wir zwei Meter voneinander entfernt saßen. Das ist doch kein Sex, oder?
Wir haben so viele Vorstellungen davon, wie eine menschliche sexuelle Verbindung aussehen sollte. Und indem wir (oft zu hohe) Erwartungen aufstellen, pflastern wir uns einen geschmeidigen Weg direkt in die Enttäuschung.
Was wäre, wenn Sex einfach nur bedeutet, in das Leben verliebt zu sein? Mit allen Sinnen ganz bei uns selbst zu sein. Alles zu leben. All die Freude, all den Schmerz, all die Frustration und Ekstase. Vom Leben erregt zu werden. Von der Natur. Mit jedem Atemzug, den ich nehme, fühle ich mich lebendig.
Ich glaube, dass Lösungen für zahllose Probleme darin liegen, es zu wagen unser Konzept von Sex und Sexualität hinterfragen. Wir können dadurch herausfinden, wie wir unser neues, eigenes Konzept in eine gesunde Beziehung einbauen wollen – sei es eine monogame oder eine andere.
Auf Instagram erkläre ich Sex folgendermaßen:
„Sex ist ein Feld, das man selbst definiert. Sex kann mit einem oder mehreren Partnern stattfinden, oder auch alleine. Es müssen keine Genitalien beteiligt sein, um etwas als Sex zu bezeichnen. Alles, was dich erregt und dich lebendiger fühlen lässt, würde ich Sex, sexuelle Energie oder Lebenskraft nennen. Genieße es.“
Libido Diskrepanz – Das Ende oder ein Anfang einer neu verstandenen Partnerschaft?
Unter Therapeuten nennen wir die oben geschilderte Situation „Libido Diskrepanz“. Aus meiner Sicht ist es in Beziehungen weit häufiger der Fall, dass die sexuellen Wünsche und Bedürfnisse differieren, als dass sie übereinstimmen. Vor allem, wenn es um eine (lebens-) lange Beziehung geht. Und ja, ich kenne Paare, die sich deswegen getrennt haben. Und manchmal mag das auch die richtige Entscheidung sein. Wenn Du aber in Deiner Beziehung bleiben möchtest, gibt es viele Ideen und Werkzeuge, die Du erforschen kannst, um gemeinsam eine Beziehung zu kreieren, die Euch beide glücklich macht.
Mein bevorzugter Ansatz ist immer, in die Tiefe zu gehen und Überzeugungen, Werte, und Bewertungen zu erforschen. Und woher wir diese haben.
5 Schritte zur Lösungsgestaltung bei Libido Diskrepanz
Manchmal beschließen Menschen in Beziehungen heimlich eine Affäre zu haben – oft wegen sexuellen Wünschen und Bedürfnissen, die in der Beziehung nicht erfüllt (oder nicht angesprochen) werden. Gleichzeitig fühlt sich die Person, die die Erfüllung dieser außerhalb der Beziehung sucht, schuldig und hat Angst, das Liebes- und Beziehungsleben zu ruinieren. Das zeigt, wie sensibel diese Situation und die daraus resultierende Entscheidungsfindung ist. Wenn ich mich entscheide, etwas heimlich zu tun, tue ich das vielleicht, um 1) meine Partner*in zu schützen, 2) mich selbst zu schützen, 3) die Beziehung zu schützen. Aber tue ich das wirklich?
Wenn wir unsere Wünsche und Bedürfnisse im Dunkeln lassen – ob wir sie nun ausleben oder nicht -, führt das oft zu Problemen und vielleicht zu einer Trennung.
Vermuten wir einfach mal, dass wir als Menschen wachsen wollen und verstehen, dass sich sexuelle Wünsche und Sehnsüchte (wie die meisten Dinge im Leben) im Laufe der Zeit ändern können (und damit meine ich nicht, dass wir es aussitzen sollen). Und dass, selbst wenn wir diese jetzige Beziehung beenden, wir uns in der nächsten Beziehung in einer ähnlichen Situation wiederfinden könnten.
Wäre es nicht fantastisch, wenn wir wissen würden, was wir wirklich wollen und was wir nicht wollen? Wenn wir uns selbst treu bleiben, nach Consent fragen und unsere Wahrheit leben könnten?
Um der Antwort näher zu kommen, stelle ich mir diese Reise in 5 Schritten vor.
(Persönliche Prozesse sind in der Regel nicht linear. Wenn Du möchtest kannst Du die folgenden Fragen als groben Leitfaden betrachten und intuitiv auswählen and was Dich interessiert. Das Ziel ist nicht, schnell Antworten auf all diese Fragen zu finden, sondern zu verstehen, dass sie eine lebenslange Reise zu sich selbst und Deiner Art der Beziehung zu führen darstellen).
Schritt eins: Entdecken
Wer bin ich? Was sind meine Werte?
Was sind meine Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte? Was sind meine Erwartungen? Was ist meine Definition von einer guten Beziehung und einem guten Liebes- und Sexleben? War das schon immer so oder hat sich das im Laufe der Zeit geändert?
Je besser ich weiß, wer ich bin, was ich brauche und was meine Werte sind, desto leichter fallen mir Entscheidungen. Wenn ich verstehe, warum ich etwas mag oder nicht mag, kann eine fundiertere gute Entscheidung für mich treffen.
Schritt zwei: Hinterfragen
Was hat mich beeinflusst, diese Werte, Erwartungen und Vorstellungen zu haben? Bin ich in einer bestimmten Kultur oder Religion aufgewachsen oder wurden bestimmte Formen des Seins unterstützt, während andere abgelehnt wurden?
Was ist für mich immer noch gültig? Was möchte ich loslassen oder ändern?
Nachdem wir nach innen geschaut haben, können wir unser Bewusstsein nach außen und auf unsere Vergangenheit richten. Wer und was hat uns beeinflusst, uns so zu verhalten, wie wir uns verhalten und zu glauben, was wir glauben.
Schritt drei: Zulassen
Was brauche ich, um mit dem, was ich bin und was ich will, zufrieden zu sein?
Wie kann ich mehr Selbstakzeptanz und Selbstliebe zeigen?
Welche verinnerlichten Glaubenssätze stehen mir im Weg?
Wie kann ich mehr Selbstakzeptanz und Selbstliebe zeigen?
Welche verinnerlichten Glaubenssätze stehen mir im Weg?
Dies ist ein bahnbrechender Schritt. Und je mehr Du dich selbst als würdig erachtest, ein Leben voller Freude und in Fülle nach Werten zu leben, die hilfreich für Dich sind, desto leichter fällt es Dir, Dich von alten Glaubenssätzen zu verabschieden und zu wachsen.
Schritt vier: Kommunizieren
Was brauche ich, um meine Wahrheit zu sagen? Was brauche ich, um zu glauben, dass meine Partner*in daran interessiert ist, meine Wahrheit zu erfahren?
Schritt drei und das Vertrauen, dass Du es wert bist, Deine Wahrheit zu leben, sind von wesentlicher Bedeutung. Das beste Szenario wäre, wenn beide (oder mehr) Partner selbstbewusst im Leben stehen und glauben, dass sie so akzeptiert werden, wie sie sind. Und das ist natürlich der schwierigste Teil, weil so viele Trigger auftauchen können, wenn man über verletzliche Themen wie Sex und Werte in Beziehungen spricht. Die Kommunikation wird einfacher, je mehr Du glaubst, dass es ok ist, dass Du gute Entscheidungen für Dich triffst – selbst wenn diese Deinen Partner beeinflussen.
Schritt fünf: Zustimmung und Entscheidungsfindung
Lernen, was Consent ist und gemeinsam informierte Entscheidungen treffen.
Herzlichen Glückwunsch! Wenn Du hier ankommst, weißt Du, wie viel Arbeit Du in Dein Liebes- und Beziehungsleben und natürlich vor allem in Dich selbst gesteckt hast. Was immer Du an diesem Punkt Deiner persönlichen Entwicklung entscheidest, wird Dich dazu bringen, mehr die Person zu sein, die Du sein willst.
Willkommen zur Entdeckungsreise.
Natürlich gibt es nicht „eine Lösung für alle“, wenn es darum geht, herauszufinden, wie man Sexualität und Beziehungen leben möchte. Jede*r muss seine ganz persönliche Lösung für diese allgemeine, aber sehr spezifische Frage finden. Vielleicht mit Hilfe eines Coaches oder einer Therapeutin, die sich auf diese Themen spezialisiert hat. Melde Dich gerne, wenn Du eine Reisebegleiterin für ein Stück der Reise suchst.
Ich freu mich auf Dich.
Siri
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